Die Abguss-Sammlung des Akademischen Kunstmuseums
Im Jahr 1818 wurde im Zuge der preußischen Wissenschafts- und Kulturpolitik in der neuen Rheinprovinz die Universität in Bonn gegründet und mit einem eigenen Kunstmuseum ausgestattet. Dem Zeitgeist und den Möglichkeiten entsprechend wurden in der Anfangszeit vorrangig Gipsabgüsse gesammelt, 1:1-Kopien von Werken in anderen Sammlungen. Der inhaltliche Schwerpunkt lag auf der Kunst des Klassischen Altertums, besonders der griechischen Antike. Der erste Direktor des Akademischen Kunstmuseum, Friedrich Gottlieb Welcker, 1819 berufen, baute rasch eine hochwertige Sammlung auf. Welcker verfolgte bei der Auswahl der Werke vier Ziele. Erstens sollten die Figuren und Reliefs die Entwicklung der Kunstgeschichte repräsentieren und dabei bedeutende Schlüsselwerke der Bildhauerkunst beinhalten. Zweitens sollten mythologische Themen veranschaulicht werden. Drittens sollte die Abguss-Sammlung die berühmtesten Meisterwerke als ausgezeichnete Beispiele der Kunstfertigkeit zeigen, etwa die Parthenonskulpturen. Viertens sollte das Museum ausdrücklich als Lehrsammlung verstanden werden und daher auch unbedeutende Stücke aufnehmen, um eine möglichst große Breite und Vielfalt widerspiegeln zu können. In der zweihundertjährigen Geschichte der Abguss-Sammlung wurde der Bestand immer wieder erweitert und die Auswahl vielfältiger.
Die Gipsabgüsse im Akademischen Kunstmuseum bieten Student*innen, Forscher*innen und Besucher*innen die Möglichkeit, in Bonn antike Statuen und Reliefs in ihrer Originalgröße, Dreidimensionalität und selbst der genauen Oberflächenbeschaffenheit zu studieren, ohne weite Reisen in die europa- oder gar weltweit verstreut liegenden Museen zu unternehmen. Für ein abschließendes Studium bleibt es dann unumgänglich, auch das Originalwerk aufzusuchen, da auch das Originalmaterial zur Beurteilung beachtet werden muss und manche Details und vor allem Ergänzungen des antiken Bestandes nur am Original zu erkennen sind. Doch für viele Aspekte sind bereits die Gipsabgüsse hilfreich, und vor allem bieten sie viel bessere Erkenntnisse als eine Fotografie – das verbreitete Medium für die Untersuchung von Bildwerken.
In der Bonner Sammlung gibt es Reproduktionen von Werken von der prähistorischen Zeit bis in die Spätantike, vorrangig der griechischen, römischen und etruskischen Kultur. Im Museum ausgestellt sind aktuell Statuen und Reliefs von der archaischen Zeit (7. Jahrhundert v. Chr.) bis in die mittlere römische Kaiserzeit (2. Jahrhundert n. Chr.). Das früheste Zeugnis ist ein Abguss der sogenannten Nikandre, eine der ersten großfigurigen menschlichen Figuren der griechischen Kunst. Das späteste Beispiel ist die Vorderseite eines römischen Sarkophags mit einer Darstellung der Sage um die Mondgöttin Selene/Luna und ihren Geliebten Endymion. Anhand der etwa 50 präsentierten Abgüsse und der dazu passenden Beschriftungen werden die Entwicklung der antiken Bildhauerkunst vorgestellt und verschiedene kunst- und kulturhistorische Aspekte erläutert.