Welche Rolle spielten die Bauern bei der Herausbildung des Feudalismus? Waren sie wirklich nur passive Zeugen der aristokratischen Akteure, oder haben sie den Feudalismus in den lokalen Strukturen entscheidend mitgestaltet? Wollten sie die "Steuerfreiheit" aufgeben oder wurden sie durch die Umstände dazu gezwungen? Welche Rolle spielten die religiösen Institutionen bei diesem Übergang?
Diesen Fragen geht ein landschaftsarchäologisches Projekt der Abteilung für Christliche Archäologie der Universität Bonn nach. Ausgangspunkt der Forschung ist die mittelalterliche Abtei S. Fidenzio e Terenzio in der Gemeinde Massa Martana (Umbrien, Italien). Ihre Strukturen und ihr Territorium werden detailliert analysiert, um die Chronologie des religiösen Gebäudes zu rekonstruieren, die Gründung der klösterlichen Gemeinschaft zu datieren und die demographische Geschichte des umliegenden Landes zu untersuchen.
Auf dieser Grundlage kann ein Verständnis der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte des Gebiets gewonnen werden. Ein besonderes Interesse der Studie liegt in der Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Landbevölkerung und einem Zentrum religiöser Macht (Santi Fidenzio e Terenzio).
Die historische Bedeutung des Untersuchungsgebiets wird durch eine Reihe von Faktoren verstärkt. Erstens liegt das Dorf Massa Martana an der westlichen Route der Via Flaminia. Nachdem die Via Flaminia in römischer Zeit ein wichtiger Verkehrsweg war, verlor sie im Mittelalter an Bedeutung zugunsten des östlichen Verlaufs, der durch Spoleto führte, und der Via Amerina, die durch Todi führte. Zweitens war das Untersuchungsgebiet im frühen Mittelalter ein Grenzgebiet zwischen den byzantinischen Territorien, die Rom mit Ravenna verbanden, und dem lombardischen Herzogtum Spoleto. Drittens konnte sich das nachrömische Landleben ohne eine eigentliche Stadt und mit nur einem kurzlebigen Vicus (dem Vicus Martis Tudertium) als zentralem Knotenpunkt in der Region flexibler entwickeln als in Regionen mit einer stärkeren römischen Zentralisierung.
Obwohl das Projekt in erster Linie an der Erforschung frühmittelalterlicher ländlicher Strukturen interessiert ist, erweitern alle oben genannten Elemente die Relevanz des Projekts über den mittelalterlichen Zeitraum hinaus. Die Ergebnisse des Projekts werden nämlich den langfristigen Einfluss der römischen Infrastruktur auf die regionale Wirtschaft aufzeigen, sie werden dazu beitragen, die Bedeutung frühchristlicher Bestattungen für die Landbevölkerung neu zu bewerten, und sie werden Anhaltspunkte für Spekulationen über die Entstehung zentraler Orte in einem peripheren Gebiet des Apennins liefern.
Laufzeit: ab Oktober 2022
Finanzierung: "Argelander-Starterkit-Stipendium" der Universität Bonn
Kooperation: Bonn Center for Digital Humanities (BCDH)